Maryna Makarenko

Gender fluidity

Eine Rundmail des Sonntags-Club ließ mich aufhorchen: Maryna Makarenko, Schülerin in der Klasse von Ai Wei Wei an der Universität der Künste sucht Interviewpartner_Innen für Ihr Projekt "Gender Fluidity".


Für ihren fiktionalen Dokumentarfilm sucht Maryna Protagonisten, die sich alle außerhalb des geschlechtsspezifischen binären Systems bewegen: sie sind Transgender, Geschlechtsfluid oder Intersexuell. 


Ihr Ziel ist es, den Menschen, die sich nicht mit ihrem ursprünglichen biologischen Geschlecht identifizieren, eine Möglichkeit zu bieten, das Geschlecht an sich als etwas flexibles und veränderbares zu sehen und eine Offenheit und Freiheit in Bezug auf die Wahrnehmung von Geschlecht, Geschlechtsmerkmalen und -rollen zu erlangen.


Schnell haben wir uns über den Jahreswechsel per E-Mail verabredet und treffen uns schließlich im Sonntags-Club. Da am heutigen Dienstag ohnehin der traditionelle Abend für Trans*, Freund_Innen und Sympathiesant_Innen stattfindet, wird der Abend für alle Beteiligten sehr interessant. 


Waren wir zur Trans*-Veranstaltungs-AG unter Leitung von Justine im wesentlichen noch unter uns, füllt sich der SC nach 19:00 Uhr zusehends.


Maryna erscheint und ich bin sofort von ihrer offenen, freundlichen und unkomplizierten Art eingenommen. Nach dem Kennenlernen und einem ersten Getränk ziehen wir uns ins "Aquarium", einem kleinen, durch Glaselemente vom Gang abgetrennten Versammlungsraum, zurück.


Marynas Fragen sind sehr tiefgründig und gehen mir tief unter die Haut. Kaum ein privates, um nicht zu sagen intimes, Thema bleibt ausgespart.


Die eigene geschlechtliche Entwicklung, meine Einstellung zu heteronormativen Rollenmodellen, mein Coming out, meine Erfahrungen mit den Reaktionen der Umwelt darauf, meine Einstellung zu Sexualität und Partnerschaft, aber auch meine Einstellungen und Haltungen zu gesellschaftlichen Prozessen und politischen Entwicklungen, zu Natur und Technologie interessieren Maryna. 


Und so sitzen wir über anderthalb Stunden zusammen, in denen ich mein Innerstes nach außen kehre.


Am eindrucksvollsten ist für mich Marynas Frage, wie ich mir eine ideale Welt für Menschen vorstelle, die sich als genderfluid verstehen bzw. das herkömmliche heteronormative Rollenmodell für sich ablehnen.


Hier muss ich länger als bisher nachdenken: Ja, was wäre, wenn? Wie sieht für mich diese ideale Welt ohne Diskriminierung alternativer Lebensweisen aus? Ich gleite kurz in eine visionäre Träumerei ab...


Am nächsten Tag rufe ich meine Krankenkasse an, um noch ein Detail mit meiner Beraterin zu klären. Sie wird durch eine Krankheitsvertretung vertreten, die ich noch nicht kenne. Wir vereinbaren kurzfristig ein Treffen in der Geschäftsstelle der AOK. Als ich da bin, klingle ich sie kurz mit dem Smartphone an und informiere sie, dass ich im Empfangsbereich auf sie warte. Ich bin die einzige Kundin.


Wenige Minuten später betritt eine junge Frau den Empfangsbereich und schaut sich ratlos um. 


Ohne mich anzusprechen, wendet sie sich zurück in den Beratungsraum, hebt hilflos die Arme, während sie aufgeregt mit einer älteren Kollegin spricht. Die steht lächelnd auf und wendet sich mir zu: 


"Möchten sie Frau K. sprechen?"


Ich bin längst aufgestanden während der Szene, um sie aufzulösen, lächle zurück: "Ja."


Ein befreites und verstehendes Lächeln zieht nun auch über das Gesicht der jungen Sachbearbeiterin. So ist das eben mit den beiden Schublädchen in unserem Kopf...