Rückblick auf 2016

Was wirklich wichtig ist

Silvester 2015 in der "Bar Voyage".
Silvester 2015 in der "Bar Voyage".

Der November mit seinem nass-kalten Wetter, seinen neblig-feuchten Tagen und seiner Dunkelheit läßt leicht depressive Stimmungen hoch kochen. 


Doch diese Zeit bietet auch genügend Gelegenheiten zur Selbstreflexion, zum Rückblick und zur Bestandsaufnahme des vergangenen Jahres.


Als ich in 2015 noch in einem Job verharrte, der zwar vielfältig und interessant und auch durchaus nicht schlecht vergütet war, habe ich mich mit dem Gedanken eines Coming out an meiner Arbeitsstelle beschäftigt. Doch bei genauerem Hinschauen war schnell klar: das wird nichts! in einem Familienunternehmen mit einem Dutzend Leute reichte einer, der die Achtung und das Vertrauen des Chefs (mindestens) in dem gleichen Umfang genoß, wie ich, um von einem Coming out Abstand zu nehmen. 


Bei verschiedenen Gelegenheiten und durch mehrere Äußerungen des betreffenden Mitarbeiters wurde klar, dass dieser sexistisch und strikt homo- und transphob eingestellt ist. In einer so kleinen Firma reicht halt ein einziger Mitarbeiter an entscheidender Stelle und mit entsprechender Reputation beim Chef...


Ich habe Ende 2015 gekündigt. 


Es war eine Befreiung. Seitdem lebe ich kontinuierlich als Frau und trete nach außen nur noch so auf.

Lena im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages beim Parlamentarischen Regenbogenabend Mai 2015.
Lena im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages beim Parlamentarischen Regenbogenabend Mai 2015.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich zwar bei meiner Familie und im nächsten Wohnumfeld geoutet und konnte mich so zu Hause und in der Freizeit in meiner femininen Geschlechterrolle ausleben.


Doch der permanente Wechsel in die ungeliebte männlichen Rolle im Beruf hat mich aufgerieben. Irgendwann ging das nicht mehr, das Maß war voll.


Und obwohl ich dafür einen tollen und durchaus gut bezahlten Job aufgeben musste, fühlte es sich als Befreiung an, als ich den Schritt letztendlich ging.


Habe ich es bereut? Keine Stunde!



Auf dem Bahnhof Lichtenberg 2016.
Auf dem Bahnhof Lichtenberg 2016.

Seit Oktober 2015 kann ich 24/7 in meiner femininen Rolle leben, ohne falsche Rücksichten aus beruflichen Gründen auf Kunden oder Geschäftskontakte nehmen zu müssen. Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl.


Dazu kommt, dass ich von der Öffentlichkeit, in der ich mich nun als Frau bewege- oder zumindestens als feminines Wesen- sehr viele positive Rückmeldungen bekommen habe.


Während meiner Reha von März bis Juli dieses Jahres habe ich sowohl vom Personal der Reha-Klinik, als auch von meinen Mitpatient_Innen viel Sympathie, positive Rückmeldungen und Solidarität erfahren dürfen.


Aber auch völlig unverhoffte Begegnungen bestärkten mich darin, meinen Weg weiter zu gehen. So beispielsweise, als ich von einem jungen Mann in der S5 völlig unvermutet ein Kompliment bekam oder als mich eine unbekannte Dame auf dem S-Bahnhof Lichtenberg unvermittelt ansprach: "Mutig, mutig, weiter so!" Ich war in einem unauffälligen Damenoutfit auf dem Weg zur Reha: Cremefarbenes T-Shirt, Damenjeans, hautfarbene Feinstrumpfhose, schwarze Pumps mit nicht allzu hohen 5 cm-Absätzen, natürlich Perücke & Silis und Handtäschchen... 

"Zug der Liebe": Zug ja, Liebe nein.
"Zug der Liebe": Zug ja, Liebe nein.

Immer wieder habe ich auch die zahlreichen Highlights der Berliner Trans*- Szene mitgenommen, die Freitagstreffen der Transsisters in der "Bar Voyage" in Schöneberg genauso wie die Trans*- Abende jeweils Dienstags im SC (Sonntags-Club e. V.) im Prenzelberg, den "CSD on the rail" der S-Bahn genauso, wie das Lesbisch-schwule Stadtfest (Motzstraßenfest) in Schöneberg und den Berliner CSD.


Eine schwere Enttäuschung hielt hingegen der 2016 zum zweiten Male stattfindende "Zug der Liebe" für mich bereit. Ursprünglich wollte ich darüber in meinem Blog berichten aber ich war so enttäuscht, dass ich's gelassen habe.


2015- beim ersten "Zug der Liebe" traf ich völlig unvorbereitet auf den sich aufstellenden Zug, als ich gerade mein Töchterchen im Friedrichshain besuchte. Spontan haben wir beide damals beschlossen, mitzulaufen und es war wunderschön. Ich fand die Idee des nicht (so sehr) kommerziellen Zuges, die Aufmachung supertoll, die Losungen hatten viel Sinn und Herz, kurz: ich habe mir geschworen: da bist du nächstes Jahr wieder dabei!


Die Veranstalter hatten sich 2016 in einem Flyer jede politische Parteinahme verbeten, doch als ich am Aufstellungsort eintraf, dominierten rote "Linken"- und "Jusos"- Flaggen nebst einigen marxistischen Splittergrüppchen die Zugspitze. Die nazibraun gekleideten Antifa-Aktivisten dominierten das Geschehen, Flugblätter wurden verteilt, Hassparolen per Antifa-Songs und über Sprechchöre hallten über den Platz.


Als dann von einem Wagen neben mir noch eine Megaphon -Stimme losquäkte, dass sich "Fuzzis" in Klamotten mit bestimmten Modelabels schnell aus dem Staub machen sollten, rekapitulierte ich erstmal erschrocken für mich, was für Arschfaxe ich wohl in Kleidchen und Schlüpperchen habe, die Anstoss erregen könnten. Es dauerte eine Schrecksekunde bis ich begriff, dass die Thor Steinar & Co. meinten. Uff, noch mal Glück gehabt...


Halt wie Machtergreifung 1933, nur linksrum und ohne Fackeln.


Ich habe mich vor der Holzmarktbrücke bildlich gesprochen in die Büsche verdrückt, DAS (!) war nicht die Veranstaltung, zu der ich wollte. 


Passend zu meiner gedrückten Stimmung kam die Schließung einer meiner Lieblingslocations in Schöneberg, dem kleinen urigen österreichischen Lokal "Gustav Heuriger" in der Motzstraße 10, bei dem ich viele schön Stunden mit meinen Freundinnen und Kindern verbracht habe. Immer gut als erster Anlaufpunkt mit müde gestöckelten Füßen beim Motzstraßenfest. 


In der Bar Voyage - das Wohnzimmer der Transsisters


CSD on the rail


Stadtfest


CSD Berlin


Große Freude und eine tolle Rückbestätigung bot mir meine ehrenamtliche Mitarbeit im Sonntags-Club e. V.


Ob beim Renovieren oder der Mithilfe bei Veranstaltungen- es war ein tolles Jahr! Egal ob der Auftritt des palästinensisch-syrischen Pianisten Aeham Ahmad aus Jarmuk vor mehr als ausverkauftem Haus- wir öffneten die Fenster zur Erich-Weinert-Straße, damit die draußen gebliebenen das Konzert verfolgen konnten- bei dem ich den Einlass und die Kollekte machen durfte, über den Auftritt der Gruppe "Wortschwung" aus Hamburg, die Lesung von Jayrome Robinet, den bewegenden Auftritt von Janis McDavid bis hin zu dem von mir mitorganisierten Grillvergnügen unserer Transfrauen und -männer, der ein voller Erfolg war.


Nachdem mir der Club so viele Jahre bereits zur zweiten Heimstatt geworden ist schien es mir nur folgerichtig, Mitglied im Verein zu werden.


Das Jahr 2016 hielt viele Highlights neben den Treffen mit meinen Freundinnen Claudia, Steffi, Andrea, Lea, Christine, Esther, Justine, Katja und vielen anderen bereit, mit denen wir die schönen Abende vorm Sonntags-Club oder in dem wunderbaren "Schankgarten" der Bar Voyage, beim "Heurigen Gustav" oder in der Bar Incognito verbrachten. 

Auch in meiner Heimatstadt Eberswalde mit seinen knapp 40.000 Einwohnern lebe ich meine feminine Existenz. Egal, ob O-Bus-Fahrer, Verkäuferinnen oder die Beschäftigten in Bistros und Cafes- man kennt mich und nicht selten werde ich freudig begrüßt.


Wenn ich mal etwas Ruhe und Entspannung brauche, kaufe ich mir im O-Bus eine Tageskarte und fahre mit dem 862-er nach Ostend und suche die dortige kik-Filiale auf, denn die haben Damengrößen bis 58/60 und ich brauche im Regelfall 52. Haben die. Auch Dessous in meiner Größe (95) sind im Angebot, ebenso wie Feinstrumpfhosen in 52/54.


Zurück mit dem 862-er zum Marktplatz und ab in die Rathaus-Passage, die neben dem City-Kaufhaus unter anderem auch eine Deichmann-Filiale, einen Rossmann und die Strumpfboutique von Frau Pirwas beinhaltet. 


Die Vögele-Filiale war früher auch mal eine Quelle schöner Damenoberbekleidung, aber die kleine Ecke der Marke "Grandiosa" hält seit einem gefühlten knappen Jahr nur die immer gleichen Stücke bereit. Die gleichen Oma-Oberteile, Strickjacken und: Hosen. 


Hosen, Hosen, Hosen...


Konnte ich als Kerl schon ausgiebig genug tragen, jetzt möchte ich Röcke und Kleider!


Nach dem Shoppen verweile ich meist bei einem Kaffee und einem schönen Kuchenstückchen bei den netten Mädels im Cafe von Märkisch Edel am Markt, bis ich mich mit einem O-Bus von der direkt vorm Cafe gelegen Haltestelle auf ins Brandenburgische Viertel mache, dass im Eberswalder Volksmund nur "Ghetto" heißt.


Der 861-er hält zuerst in Finow, ehe er ins Ghetto fährt, da ist ein kurzer Halt beim ehemaligen "Famila" angesagt, bei Kaufland gibt es billige, aber durchaus alltagstaugliche Feinstrumpfhosen und dann schmökere ich noch durch die Klamotten, Wäsche und Accessoires bei AWG ("Alle werden glücklich") oder bei dem chinesischen Händler im Einkaufszentrum. Weiter mit dem 861-er ins Ghetto.


Dort angekommen, im Einkaufszentrum "Heidewald", gibt es zwar kaufkraftbedingt eine Menge Leerstand, aber eine NKD-Filiale und ein kik halten noch aus. Was der kik in Ostend nicht hat, hat der im Ghetto und umgekehrt. Die Verkäuferinnen im Laden haben jedenfalls nach eigenen Aussagen keinen Einfluss auf die Belieferung.


Seinen Abschluss findet ein solcher Shoppingtag dann meistens im Bistro Gülum im Einkaufszentrum Heidewald. Die Mädels sind überaus freundlich und zuvor kommend, die Preise sind moderat und man hat einen guten Ausblick ins Einkaufszentrum und auf die Flanierenden und Kauflustigen. 


Was habe ich 2016 erreicht:


  • Antrag auf Vornamens- und Personenstandsänderung gestellt;
  • Ein Gutachten für die VÄ/PÄ, ein zweites muss ich noch einholen;
  • Berwerbungstraining Trans* im Sonntags-Club absolviert, viel gelernt;
  • Berwerbungsunterlagen angepasst;
  • Ehrenamtliche Mithilfe im Sonntags-Club e. V.;    
  • Mitglied im Sonntags-Club e. V.;

Für 2017 habe ich mir einiges vorgenommen:


  • Jahrestreffen des Crossdresser-Forums in Berlin am 26./27. Mai 2017 (Himmelfahrtswochenende);
  • Jahrestreffen von Strumpfhose.net in Lützensömmern vom 02. bis 05. Juni 2017 (Pfingstwochenende),
  • Lesbisch-schwules Stadtfest am 15./16. Juli 2017 ab 11:00 Uhr. Ich helfe wieder mit bei Standaufbau und Standbetreuung des Sonntags-Club e. v.;
  • CSD Berlin am 22. Juli 2017 ab 12:00 Uhr;
  • Schwul-lesbisches Parkfest im Volkspark Friedrichshain am 12. August 2017 von 15 bis 22 Uhr;     
  • Organisation von wenigstens zwei Grillfeten 2017 mit den Transfrauen und Transmännern im Sonntags-Club e. V. in Abstimmung mit der Trans* Veranstaltungs AG;
  • Oktoberfest der Transsisters 2017 in der "Bar Voyage (Termin noch offen);
  • Silvesterfete entweder im "Voyage" oder im "Incognito" 31.12.2017;