Ein dünnes Häutchen überzieht einen See von Hass und Intoleranz

Abrechnung an anderer Stelle

Gestern war ich wieder mal in meiner gefühlten Heimatstadt Eberswalde unterwegs. Ich bin hier nicht geboren, aber seit 1982 wohnhaft und kenne mehr Ecken in Eberswalde und Leute in der Stadt, als so manche(r) Eingeborene(r).

 

Nach einer kleinen Shopping-Tour zur Ostender Filale des "kik", die in einer Stretchleggins im Jeansdesign in meiner Größe 52 und zwei Slips und einem passenden BH in Himbeerfarben gipfelte, landete ich schlussendlich im Bistro Gülüm in der Einkaufspassage "Heidewald" im Ghetto von Eberswalde.

 

Die Frau vom Service begrüßte mich zum zweitenmal mit "Na, meine Kleine". Hatte ich beim erstenmal noch damit gefremdelt, fand ich die Wendung diesesmal echt süß.

 

Weil: sie signalisierte mir, dass ich in meiner femininen Rolle akzeptiert werde. Ich war so beglückt von dieser Aussage, dass ich mich fast schäme, sie hier aufzuschreiben. Eine Frau erkennt mich als Frau an- das macht mich so glücklich, dass ich es gar nicht weiter kommentieren möchte.

 

Das ist das schönste Bekenntnis für mich: du bist eine ganz normale Frau.

 

 ★★★

 

Die Pressethemen zum Sexualkundeunterricht in Hessen sind interessant und werden medial von interessierten Seiten immer weiter ausgeschlachtet.

 

Es gebe da Kontroversen mit dem Landeselternbeirat zu den Arbeitsmaterialien. Soweit ich das den Pressemitteilungen entnehmen konnte, bemängelt der Landeselternbeirat den Lehrplan des Sexualkundeunterrichts nicht als solchen, lediglich die Zielstellung der Akzeptanz alternativer Lebensformen ging wohl einer Mehrheit des Landeselternbeirats Hessen zu weit.

 

Nun könnte man ja sagen, ich als betroffene (Transe, Transgender, Crossdresser) profitiere ja davon und könne mich über diese Regelung freuen. Ich freue mich nicht.

 

"Jedem Tierchen sein Plaisierchen" ... ein Satz, der dem Alten Fritz zugeschrieben wird oder "Leben und leben lassen", oder "Jeder nach seiner façon".

 

All diese Wendungen sagen etwas zur Toleranz gegenüber andersartigen, -denkenden und -meinenden Menschen aus.

 

Toleranz ist eine Bringschuld der Gesellschaft, welche die Betroffenen notfalls auch einfordern können. Sie ist passiv und bedeutet in der Endkonsequenz nicht mehr als schulternzuckende Gleichgültigkeit oder Ignoranz anderen Lebenseinstellungen gegenüber. Damit kann ich aber sehr gut leben.

 

Meine Kontakte zu zwei ägyptischen Transsexuellen verdeutlichen mir, in welch privilegierter Situation wir hier in Deutschland leben, indem wir nicht nur nicht verfolgt, sondern auch nicht in Todesgefahr laufen, wenn wir öffentlich auftreten. Toleranz ist ein sehr hohes Gut.

 

Akzeptanz hingegen ist aktives Tun, es erfordert Einverständnis, beispielsweise aus Einfühlung, Mitgefühl oder Verständnis. Das Wichtigste aus meiner Sicht jedoch ist:

 

Akzeptanz ist ein Geschenk, das freiwillig erbracht wird.

 

Und genau dieser Aspekt der Freiwilligkeit ist es, der mich an dem Rummel um den Sexualkundeunterricht in Hessen umtreibt:

 

Der Landeselternbeirat Hessen hat (nach meiner bisherigen Kenntnis) moniert, dass man Akzeptanz nicht einfach von oben verordnen kann. Akzeptanz kann man meiner Meinung nach nur individuell beispielsweise durch Überzeugung und durch ein beispielhaftes Leben erreichen, durch gute Kontakte und Gespräche, aber nicht durch Zwang oder Verordnung. Insofern würde ich, wenn die Ausgangsvoraussetzungen stimmen, dem Landeselternbeirat Hessen zustimmen.

 

Lasst die Kinder ihre Erfahrungen machen, sie werden sie (mit Hilfe ihrer Eltern und sonstiger Bezugspersonen) zu sortieren wissen; und sebst wenn das nicht funktionieren sollte, würden in unserer Gesellschaft übergeordnete Werte, wie der Respekt und die Achtung vor der Integrität anderer Menschen, auch Andersdenkender, der Achtung von Leben, Gesundheit und Integrität Anderer greifen und Raum zum Nachdenken über andere, regenbogenbunte Lebensentwürfe, schaffen.

 

Ich für mich persönlich fürchte nicht den Kontakt zu neugierigen Kindern und Jugendlichen, sondern wünsche ihn mir sogar und möchte keinerlei Indoktrination der jungen Geister.

 

Ich für mich hätte mir auch einen Sexualkundeunterricht, wie er in Hessen jetzt angestrebt wird, gewünscht. Er hätte mir rund 30 Jahre Selbstzweifel, Konflikte und Zeit zur Selbstfindung erspart. Für Kinder meines Schlages ist dieser Sexualkundeunterricht deshalb ein Segen, den anderen schadet er nicht. Homo- oder Transsexualität sind keine ansteckenden Krankheiten.

 

Geht der Lehrplan mit den Bildungszielen des hessischen Sexualkundeunterrichts zu weit?

 

Nein.

 

Er bringt den Kindern Lerninhalte und Lebensziele nahe, macht sie mit alternativen Lebensumständen, wie allein erziehenden Eltern, gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und alternativen Lebensentwürfen vertraut, ohne sie zu indoktrinieren. Es wird keinerlei weltanschauliche Stellungnahme abverlangt.

 

Ganz im Gegenteil: Bereits in der Einleitung machen die Verfasser deutlich, dass es keine Indoktrinierung von Kindern geben wird.

 

Zitat: "Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist bei der Sexualerziehung Zurückhaltung zu wahren sowie Offenheit und Toleranz gegenüber verschiedenen Wertvorstellungen zu beachten und jede einseitige Beeinflussung zu vermeiden."

 

Doch was machen die Gegner aus der rechtskonservativen, erzklerikalen oder evangelikalen Ecke daraus?

 

Es herrscht Geschrei und Alarmismus. Der Sprecher der AfD Hessen, Albrecht Glaser, gleichzeitig stellvertretender Sprecher der AfD, seiert in seiner Stellungnahme "Die Hessische Landesregierung vergreift sich an unseren Kindern" über die "Frühsexualisierung unserer Kinder". Wen er mit "unsere Kinder" meint, lässt Herr Glaser dabei offen, seine eigenen kann er wohl nicht meinen, denn nach meinem Eindruck befindet sich Herr Glaser weit jenseits des Reproduktionsalters. Falls er Kinder hat, dürften die im Alter der meinigen sein, und die können gut für sich selbst sprechen.

 

Auch die Erzählungen Glasers, mit dem Sexualkundeunterricht Hessens sei kein Nobelpreis zu erlangen, verfangen nicht: das will man gar nicht. Die Wendung Glasers: "Nobelpreise haben früher einmal die Ergebnisse des deutschen Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs gekennzeichnet." stimmt auch nicht, die Nobelpreise für deutsche Geistesschaffende und Wissenschaftler halten sich sowieso in überschaubaren Grenzen.

 

Was bleibt?

 

Die AfD ist ein Sammelbecken, das sich auch aus rückwärts gewandten Menschen mit äußerst reaktionären gesellschaftlichen Ansätzen speist. Nur mühsam verdecken Contenance und lange eingeübte Zurückhaltung die Intoleranz, ja den Hass, die Homo- und Transphobie einiger (nicht aller!) Menschen, die diesen Bewegungen anhängen. Sollten diese rechtskonservativen, erzreaktionären, klerikalen bzw. evangelikalen Kräfte an die Macht kommen, wäre mindestens mit einer weit gehenden gesellschaftlichen Ächtung und Benachteiligung (mehr als ohnehin schon derzeit üblich), möglicherweise aber auch mit einer Verfolgung von LSBTI-Minderheiten zu rechnen.

 

Mühsam wird dieses Konglomerat aus Hass und Intoleranz mittels vorgeschobener vorgeblicher Befürchtungen und Besorgnisse, beispielsweise zu einer vorgeblichen "Frühsexualisierung unserer Kinder" verdeckt. Alte, längst widerlegte Märchen, beispielsweise von der Indoktrination von Kindern bezüglich gleichgeschlechtlicher Lebensweisen werden heraus gekramt und hoch gekocht, dabei steht längst fest: Homo- und Transsexualität sind keine ansteckenden Krankheiten und niemandem kann man diese Lebensweisen einfach so einimpfen.

 

Geschürt werden Homo- und Transphobie, eine rüde Ablehnung und tief greifende Intoleranz bis hin zu Hass gegenüber alternativen Lebensentwürfen. Man will uns zwar nicht gleich totschlagen, aber wenigstens wieder in die hintersten Schmuddelecken unserer Städte, ins unsichtbare Nirgendwo, verbannen.

 

Wollen die Mitläufer und Sympathiesanten der AfD das wirklich? Oder gibt es für sie auch andere Formen des Protestes ohne Rückgriff auf eine derartige Organisationsstruktur, wie die AfD?

 

Die Extremisten in der AfD verstecken sich in der Masse der wohlmeinenden Mitte, die auch in dieser Partei repräsentiert ist. In der Normalität dieser vielen AfD-Mitglieder und -Sympathiesant_Innen verstecken sich Rechtsextreme, Homo- und Transphobe sowie erzklerikale und evangelikale Reaktionäre.

 

Die Regierung- besonders die Bundeskanzlerin- hat beispielsweise fehlgehandelt in der Banken-, Euro- oder Flüchtlingskrise- ein absoluter Grund, diese Regierung mit all ihren Parteien zum Teufel zu jagen!

 

Geichzeitig wünsche ich mir eine pragmatische Partei, die das Volk nicht belügt, sondern knallhart sagt, was Sache ist.

 

Ungeschönt mitten ins Gesicht. Das wäre ein Indianerhäuptling, der das hinbekommt.

 

"Blood, sweat and tears..." Churchill hat es vorgeführt, wie's geht. Dazu gehört aber staatsmännische (staatsfrauliche) Größe.

 

Doch all diese Denkmodelle greifen zu kurz angesichts des gegenwärtigen medialen Verwirrspiels, das die  etablierten Medien anstrengen.

 

Sie belügen uns .

 

Egal, ob Medien, wie Spiegel, Bild oder Zeit, Welt oder andere..., egal ob Parteien, egal ob NGO's und kirchliche Organisationen:

 

Wir werden belogen, verarscht und für dumm verkauft.

 

 


Worum geht es überhaupt?

Link Kultusministerium Hessen: Lehrplan Sexualerziehung vom 19. August 2016 (PDF, 126 KB)

 

Pressemeldungen