Panem et circensis

Ein Gespenst geht um in Europa

Dunkle Augen
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... nein, nicht das Gespenst des Kommunismus. Das hat Buffy im November 1989 erlegt.

 

Es ist ein anderer Geist, der fast unmerklich wie ein Hauch durch seine Gefilde wabert, ein nicht zu greifender Nebelschleier. Er wohnt, anders als der Geist des Kommunismus, nicht in Arbeitervierteln oder den Kiezen und Siedlungen der kleinen Angestellten, Freiberufler oder Handwerker.

 

Er ist in den Palästen zu Hause. Kaltes Beton-Stahl-Glas-Ambiente, Marmor und Mahagoni sind seine Heimstatt.

 

Es hat sich schleichend über ganz Europa verbreitet, doch dort, wo die Glastürme am höchsten, fühlt sich das Gespenst am wohlsten.

 

 

Mein Tag begann wie immer- mit der Presseschau. Zum wiederholten Male ärgere ich mich, die ganzen Nachrichten-Apps installiert zu haben und schwöre mir, ebenfalls zum wiederholten Male, alle bis auf eine vom Smartphone zu schmeißen.

 

Die Elemente der Einheitspresse von Spieglein über Bildchen, von Fratze über "The World" bis zur Unzeit bringen alle dasselbe, meist auch noch fast textgleich. Bezahlen die dort Leute fürs Abschreiben oder machen die das einfach per copy & paste? ... ach wurscht.

 

Das Programm alterniert zwischen Berichten über den neuesten Einzeltäter, den neuesten Trump und der Berichterstattung aus der bunten Welt des olympischen Spritzen- äh, nein, Spitzensports.

 

Mein Blick bleibt kurz an einem Bericht über den Deppenauftritt eines Olympiasiegers beim Abspielen der Hymne hängen. Ich bin unentschlossen bei dem Gedanken, ob das Land bei dessen Hymne der Auftritt stattfand, solche Deppen verdient hat.

 

Doch dann fällt mein Blick auf den Medaillenspiegel. Es führen erwartungsgemäß die Nationen mit den besten Dopinglaboren, alles im grünen Bereich also.

 

Damit erlahmt mein Interesse an der olympischen Sportberichterstattung und ich mache mich für die profanen Dinge des Tages bereit.

 

Um mir meine gesellschaftliche Teilhabe weiter sichern zu können, ist mal wieder eine Nachbestückung nötig und so schreite ich frohen Mutes geschwinden Schrittes zu DAS GELDHAUS.

 

Ich könnte zwar auch zur Colossalbank gehen, die Spaßkasse läge sogar noch näher, aber es zieht mich zu DAS GELDHAUS. Ich schätze diese kühle Eleganz; Beton und Glas, mattierte Edelstahlflächen, Marmor. Ein Hauch von Geldadel und Macht umweht mich.

 

Als ich mein Kärtlein in den Automaten schiebe, fühle ich das Brennen eines Blickes in meinem Nacken. Nervös schaue ich mich um. Es steht niemand hinter mir.

 

Als ich mich wieder dem Automaten zuwende, trifft mich fast der Schlag.

 

Vom Display starren mich ein paar stechend blickende graue Augen mit tödlicher Kalte an. Ich bin wie gelähmt, als das Display sich verändert und den Blick auf eine Europakarte freigibt.

 

Ich erkenne Stiefelland, das Land der tausend Inseln, die Iberische Halbinsel. Die Landmassen zeigen feine Risse, die sich ständig erweitern, auf andere übergreifen, schon beginnt es in der Gegend um Paris zu bröseln, das Ganze weitet sich mehr und mehr aus und kulminiert in einem Scherbenhaufen mit dem Epizentrum in Frankfurt am Main.

 

Das Display beginnt zu zersplittern. Ich entreiße dem Automaten mein Kärtlein, krame mit flatternden Händen die bunten Zettelchen aus dem Ausgabeschlitz, während das Display in einem letzten orgiastischen Aufflackern die Ausschrift zeigt:

 

Too big to fail!!!

 

Ein dämonisches Gelächter aus dem Automaten löst meine letzten Bremsen und ich stürze auf die Straße, die edelstahlgerahmte Glastür schließt sich schmatzend hinter mir.

 

Auf der Straße herrscht Sonnenschein. Passanten flanieren vorbei, eine Schulklasse auf Ausflug schnattert an mir vorüber. Als ich wieder Luft bekomme und mich umwende, liegt die Fassade von DAS GELDHAUS vor mir, kühl wie immer. Beton und blinkende Glasflächen, mattierter Edelstahl und Marmor.

 

Mir ist kalt.

 

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