Mein erster Arztbesuch

Alltag als Frau

Café Märkisch Edel in Eberswalde, Am Markt. Eine meiner Lieblings-Locations für Dates und zum Schreiben und Lesen.
Café Märkisch Edel in Eberswalde, Am Markt. Eine meiner Lieblings-Locations für Dates und zum Schreiben und Lesen.

Meine Hausärztin ist die Beste. Deshalb brauche ich auch keinerlei Werbung für sie machen, denn auch so rennen ihr die Leute die Praxis ein.

 

Heute gehe ich das erste Mal nicht nur in einem weiblichen Teiloutfit zu ihr, sondern ganz en femme. Im Krankenhaus bin ich bereits en femme aufgetreten, während der Reha ebenso und nun folgt meine Hausärztin, die zwar von meiner Neigung weiß, mich aber noch nie so gesehen hat.

 

Bin mal gespannt auf die Reaktion des Sprechstundenpersonals und meiner Ärztin...

Natürlich war das nicht mein erster Arztbesuch heute. Aber der erste im weiblichen Outfit.

 

Seltsamerweise war ich gar nicht aufgeregt. Gestern noch mal gründlich epiliert, heute frisch geduscht in die frische Wäsche gestiegen und vor allem ein Outfit gewählt, in dem ich mich wohl fühle. Für den Fall, dass ich mich doch mal auspellen muss, habe ich auf meine geliebten Bodys verzichtet und ein einfaches BH/Slip-Set gewählt, dazu eine Feinstrumpfhose in Makeup und den schwarz-weißen Rock von C&A und ein süßes weißes ärmelloses Oberteil von Kik. Einfache schwarze Pumps dazu, fertig.

 

Erster Auftritt: ran an den Tresen und die Chipkarte der Sprechstundenhilfe in die Hand gedrückt. Sie verzog keine Miene, als sie meine Chipkarte mit Männerbild und -namen entgegen nahm.

 

Obwohl ich vor 8 Uhr da war, saß der Warteraum bereits knackevoll. Doch das ist an Montagen (der Montag, die Montagen- ist doch klar, wa?) eigentlich immer so.

 

Ich warte gespannt auf meinen Aufruf. Würden sie mich als "Herr" oder als "Frau" aufrufen? Ich hatte am Tresen nichts diesbezüglich gesagt, mein Outfit sollte als Statement genügen. Ein kleiner Test sozusagen.

 

Von den wartenden Patienten hin und wieder ein prüfender Blick, sonst keinerlei Reaktionen.

 

Dann, nach rund zwei Stunden Wartezeit der Aufruf: "Frau Hofmann bitte in Zimmer zwei!" Test bestanden.

 

Beim Eintreten: "Guten morgen, Frau Doktor..." Sie blickt hoch, ein freundliches, ja fast strahlend zu nennendes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Jedenfalls habe ich noch nie meine Hausärztin derart offen lächeln sehen. Ich könnte sie knutschen, aber das verkneife ich mir natürlich.

 

Mit so einem Start in den Morgen sind alle anderen heutigen Termine bei Ämtern und Behörden geradezu ein Klacks. Ich werde mir nachher einfach ein kleines Frühstück im Café von Märkisch Edel am Markt gönnen, den Flanierenden auf dem Marktplatz von Eberswalde zuschauen und mich meiner weiblichen Existenz freuen... 

 

Zu meinen Belohnungsstrategien gehört aber mehr als nur ein nettes Frühstück bei Märkisch Edel.

 

Ich rufe bei meiner Schneiderin an, ob mein Coctailkleid schon fertig ist. Eine kleine Änderung am Corsagenteil war nötig. "Ja klar, komm vorbei!"

 

Nachdem ich mein geändertes Kleid für gut befunden habe, klönen wir noch ein wenig unter Frauen- über ihren bevor stehenden Urlaub mit dem Wohnmobil, die Registrierkassenpflicht im Besonderen und die Politik im Allgemeinen. Schließlich verabschiede ich mich mit dem Versprechen, bald wieder Arbeit vorbei zu bringen.

 

Anschließend düse ich im Sauseschritt mit dem O-Bus weiter Richtung Westend. In den Monaten meiner O-Bus-Abstinenz hatte ich völlig vergessen, dass die Eberswalder O-Busfahrer alle wie die gesengten Säue fahren und keinerlei Rücksicht auf Mitfahrende nehmen. Es wird angefahren und gebremst und ich kann mich noch an einen Fall erinnern, als eine Omi mit Rollator nicht schnell genug nach dem Einstieg ihren Platz einnahm. Sie rauschte beim Anfahren ungebremst vom Fahrertresen, wo sie gerade ihr Ticket erworben hatte, durch den Bus und wäre wohl an der Rückfront eingeschlagen, wenn wir sie nicht in der Mitte des Busses abgefangen hätten.

 

Passagiere werden behandelt wie Stückgut. Deshalb bleibe ich auch immer sitzen und halte mich zusätzlich fest, bis der Bus zum Stehen gekommen ist. So übersteht man auch den letzten Bremsimpuls, wenn der Fahrer eine Vollbremsung an der Haltstelle hinlegt.

 

So kam ich etwas angeknittert, aber lebend in Westend an und suchte mein Kosmetikstudio auf. Die Mädels, die meine schwangere Kosmetikerin vertreten, machen einen Termin mit mir für die überfällige Wimpernverlängerung. Aus Anlaß des Motzstraßenfestes und des CSD will ich mir Wimpern in Regenbogenfarben kleben lassen.

 

Dann weiter ins sogenannte Brandenburgische Viertel von Eberswalde. Der Volksmund nennt es nur "Ghetto" und der Name trifft die Zustände dort vollständig. Ich ignoriere die grölenden Trinker auf dem Sparkassenvorplatz in der Potsdamer Allee und betrete das Einkaufszentrum Heidewald. Drinnen empfängt mich die gewohnte Tristesse. Der Leerstand im Erdgeschoß könnte mittlerweile die Hälfte überschritten haben. 

 

Ich schmökere ein wenig bei NKD, ein süßer rosa BH in meiner Größe hat es mir angetan. Ich steh total auf rosa... das ist so schön girlie... Weiter zu kik. Da springt noch eine Blumenhalskette für Lena raus. Die junge Kassiererin meint: "Die ist total süß!" Ist sie. 

Weiter: "Sie haben aber tolle Nägel!" Ich bedanke mich für das Kompliment. Dabei geht mir die Frage durch den Kopf, dass Frauen meiner Erfahrung nach eher vorsichtig damit sind, anderen Frauen ein solches Kompliment zu machen. Fiel es ihr leichter, weil sie mich als Kerl erkannt hat, oder spielte das keine Rolle? Egal, ich freue mich...