Verluste

Transition als Problemlösungsstrategie

Werden durch eine Transition alle meine Probleme gelöst, die ich mit mir und meiner Umwelt habe?

 

Was passiert mit Partnerschaft, Kindern, Familie, Freunden, Kollegen, Job?

 

Ist das Leben nach einer Transition nur noch schön? Sind Hormone die Lösung aller Probleme?

Trans* Selbsthilfegruppe. Es geht um das Thema: "Was gewinne ich, was verliere ich durch die Transition?"

 

Die Gruppe ist gut besucht, die meisten kennen sich mindestens vom Sehen. Versammlungsleiterin ist eine erfahrene Transsexuelle, nennen wir sie Jule*). 

 

Nach der Vorstellungsrunde geht es unverkrampft los, die Diskussion ist offen.

 

Wir sammeln Ideen zum Thema. Was gewinne ich? Authentizität, Lebensfreude. Was verliere ich? Meine Freunde, Familie, Job.

 

Versammlungsleiterin Jule versäumt es nicht, ihre Schwanzfeindlichkeit zum wiederholten Male plakativ kund zu tun. "Was will ich schon mit diesem Ding, dass da zwischen den Beinen baumelt." ist sinngemäß ihr ständig postuliertes Credo. Es klingt wie eine Aufforderung, selbst genauso zu denken.

 

Ich zumindstens weiß schon, was ich damit anfangen kann. Kurz blitzt der Gedanke an meine Kinder auf, das Wichtigste und Wertvollste, das mir auf dieser Welt begegnet ist.

 

Ich bin mit meinem männlichen Körper im Grunde nicht im Unreinen. Was stört, ist die ärgerliche Körperbehaarung. Und was ich an Kopf, Bauch, Brust, Rücken und Extremitäten zuviel an Haaren habe, fehlt dafür mittlerweile auf dem Kopf.

 

Doch ich habe mich mit formschönen und sehr angenehm zu tragenden Silikonbrüsten und Perücken arrangiert und kann damit absolut leben.

 

Denn ich kann mich damit trotz meines ansonsten männlichen Körpers wie eine Frau fühlen und die soziale Rolle einer Frau ausleben. 

 

Trotzdem bin ich traurig. Ich denke darüber nach, was eine Transe in dieser Sitzung unserer SHG wohl empfinden würde, die sich wie ich dazu entschlossen hat, ihre Transsexualität ohne GaOP zu leben (früher als "kleine Lösung" bezeichnet). Und die vielleicht  in ihren Anschauungen und Ansichten nicht so gefestigt ist wie ich.

 

Sind wir Trans*-Frauen zweiter Klasse?

 

Zum Schluss sind beide Seiten, Plus und Minus, Vor- und Nachteile, des Flipcharts gut besetzt.

 

Was mir trotz der zwei Stunden Zeit fehlt, ist eine Gewichtung der Positionen, die wir heraus gearbeitet haben. Es wird einfach durch Versammlungsleiterin Jule behauptet, die positiven Aspekte würden die nachteiligen überwiegen. 

 

Ich halte diese Auswertung für ungenügend.

 

Am Schluss der Runde frage ich, warum der Punkt Partnerschaft in unserer Aufstellung kaum eine Rolle spielt. Lediglich bei den aufgeführten Nachteilen taucht die Partnerschaft im Punkt "Verlust von Familie" indirekt auf.

 

Doch was passiert mit den Wünschen einer Transsexuellen nach Liebe, Nähe und Sexualität nach erfolgter Transition?

 

Wie ergeht es Transsexuellen, die wie ich sexuell ausschließlich auf Frauen orientiert sind?

 

An dieser Stelle schaltet sich eine Transsexuelle ein, die sich nach der Trennung von ihrer Partnerin und erfolgter Transition einem Mann zugewandt hat.  

 

Frau müsse lediglich die HRT forcieren, dann erledige sich die Änderung der sexuellen Orientierung quasi automatisch.

 

Eigentlich möchte ich über diesen Unsinn lachen, doch ich weiß, dass die Anderen in der Runde an diese Geschichtchen von den Wunderhormonen glauben. Sozusagen moderne Quacksalberei.

 

Ich kann's mir dennoch nicht verkneifen zu höhnen, dass Hormone für ungeahntes Brustwachstum sorgen, für ein helleres Stimmchen, die Behaarung ausfallen lassen und auch ansonsten die Lösung aller Probleme wären.

 

Als fast alle in der Runde andächtig auf meine Worte nicken, bin ich geschlagen. Eine Differenzierung in dieser Gruppe ist einfach nicht möglich. Natürlich ist mir bewusst, dass die Gabe weiblicher Hormone individuell abhängig durchaus zu guten Ergebnissen in der Feminisierung führen können.

 

Oft aber sind die Erwartungen völlig überzogen, wenn nicht illusorisch, hinzu kommt, dass die Hormone bei jeder etwas anders wirken. 

 

Doch an diesem Abend lautet das Motto wie bei vielen anderen derartigen Veranstaltungen: 

 

"Es kann nur eine Richtung geben!"

 

Für manche wird das Motto später umschlagen in:

 

"Mit Vollgas in die Einsamkeit!"


*) alle Namen verändert